Bistum Münster: mit Zeitwertkonten zum modernen Arbeitgeber

Zwischen Nächstenliebe und Pragmatismus

Wie das Bistum Münster zu einem modernen Arbeitgeber wird.
Und was das mit sinkenden Kirchensteuereinnahmen zu tun hat.

Hinter Diethelm Schadens Schreibtisch hängt ein großes Bild. Ein Geschenk seiner Frau, wie er verrät. „Das hab ich zu meinem Einstieg beim Bistum bekommen“, sagt er. Von dezenten, silberfarbenen Zierleisten eingerahmt präsentiert sich ein Schwarz-Weiß-Foto mit sechs hintereinander fahrenden Trabanten. Der drittletzte Trabi lugt dabei – moderner Bildbearbeitungssoftware sei Dank – in zartem Babyblau hinter seinen Graustufen-Kollegen hervor. „Meine Frau meinte, das Motiv habe Symbolcharakter“, sagt Schaden. „Es sei ein bisschen alt, ein bisschen verstaubt, trotzdem bunt und sehr beliebt – wie die Kirche.“ Bevor Diethelm Schaden 2009 die Leitung der Abteilung Personal, Organisation und Zentrale Dienste im Bischöflichen Generalvikariat in Münster übernahm, war er fachlicher Vertreter des Geschäftsführers Personal und Recht bei der Strabag Property & Facility Services in Frankfurt, dem Nachfolger der früheren DeTeImmobilien. Dreizehneinhalb Jahre arbeitete der Jurist im Konzern der Deutschen Telekom, neben DeTeImmobilien unter anderem auch bei T-Mobile. Sein Fachgebiet war stets das Arbeitsrecht.

Auch wenn ihm die Fahrradstadt sehr gefällt, verschlug es den gebürtigen Kölner 1999 zunächst der Liebe wegen nach Münster, denn seine Frau stammt von dort. Mit ihr hat er zwei Kinder. Die Tochter studiert mittlerweile Psychologie in Köln. Der Sohn ist 14 Jahre alt und „großer Fußball- und Tennisspieler“, wie Schaden sagt. Das Bischöfliche Generalvikariat, das auf knapp vierzig Gebäude um den St.-Paulus-Dom von Münster verteilt liegt, verwaltet das Bistum von Bischof Felix Genn, das mit seinen gut zwei Millionen Mitgliedern und einer Fläche von über fünfzehntausend Quadratkilometern zu den größten in Deutschland gehört. Leiter dieser Verwaltung ist Generalvikar Dr. Norbert Köster.

 

„Wir werden den Gürtel auch enger schnallen müssen.“
Dr. Norbert Köster

 

Um seine Personalpolitik familien- und lebensphasenbewusst auszurichten beteiligte sich das Generalvikariat am Audit „berufundfamilie“ der Hertie-Stiftung. Während des Audit-Prozesses diskutierten die Beteiligten auch verschiedene Arbeitszeitmodelle. Als eine Folge gibt es seit 2009 eine Gleitzeitregelung im Bistum. Nach wenigen Jahren wurde diese noch verfeinert, indem die Kernarbeitszeit abgeschafft und auf Servicezeiten für Externe gewechselt wurde. „Es ging uns um die Work-Life-Balance“, sagt Diethelm Schaden. „Beruf und Familie sollten im Einklang sein.“

Das Bistum wollte seine Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen, Mitarbeiter binden. Die Mitarbeitervertretung regte in diesem Zusammenhang die Einführung von Zeitwertkonten an, um die Arbeitgeber-Attraktivität weiter zu steigern. Auf diese Weise sollen die Mitarbeiter die Möglichkeit bekommen, sich Zeiten anzusammeln – für ein Sabbatical, für die Pflege von Angehörigen, für längeren Urlaub oder eben abschlagsfreien Vorruhestand. Gemeinsam mit der Deutschen Beratungsgesellschaft für Zeitwertkonten und Lebensarbeitszeitmodelle führt das Bistum diese aktuell ein – zunächst für die Mitarbeiter im Generalvikariat sowie für alle Pastoralreferenten. „Unsere Kirchengemeinden sind eigenständig“, sagt Schaden. „Sie bestimmen selbst, ob sie Langzeitmodelle einrichten wollen oder nicht.“ Er gehe aber davon aus, dass diese sich anschließen. „Auch sie müssen schließlich attraktive Arbeitgeber sein.“

  

Das Bistum als Arbeitgeber hat auch die langfristigen Entwicklungen im Personalbereich im Blick. „Wir haben schon eine vergleichsweise geringe Fluktuation“, sagt Diethelm Schaden. Die sinkenden Kirchensteuereinnahmen werden sich aber in Zukunft auswirken. Davon ist auch Generalvikar Dr. Norbert Köster überzeugt. Ein Personalabbau werde irgendwann Thema sein. „Wir werden den Gürtel auch enger schnallen müssen“, sagt er. Zu Kündigungen soll es dabei aber nicht kommen. Und allen Aufgaben, denen die Kirche bislang nachkomme, werde sie auch in Zukunft nachkommen. Den besonderen Reiz an Lebensarbeitszeitmodellen machen die Beiden am Gestaltungsspielraum für den Mitarbeiter fest. „Ob, in welchem Umfang und zu welchem Zweck jemand etwas machen will, kann er frei entscheiden“, sagt Schaden.

Aber wie muss man sich die Arbeit eines Generalvikariats denn grundsätzlich vorstellen? „Wir sind die Verwaltung des Bischofs“, sagt Diethelm Schaden. Das Generalvikariat kümmere sich um Finanzen und Personal – auch um die Priester, um Seelsorge und die Aufsicht über Kirchengemeinden, um Bau und Organisation.

Strukturell und inhaltlich seien die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes der Orientierungsrahmen, sagt Schaden. Tarifverträge gebe es aber nicht, da sich ein klassischer Arbeitskampf, also beispielsweise Streik und Aussperrung, nicht mit den Kirchengrundsätzen vereinbaren ließen. „Die Arbeitsbedingungen handeln bei uns große Koalitionen aus.“ Für das Bistum Münster sei dies die Regional-KODA Nordrhein-Westfalen (NRW). KODA steht dabei für Kommission zur Ordnung diözesanen Arbeitsvertragsrechts. Zur Regional-KODA NRW gehören außerdem Vertreter der Bistümer Aachen, Essen und die Erzbistümer Köln und Paderborn. Teilnehmer sind Dienstgeber- und gewählte Dienstnehmervertreter; auch die Gewerkschaft ist eingebunden. „Wir machen vom Grundsatz her aber nichts anderes als die öffentliche Verwaltung“, sagt Diethelm Schaden.

 

„Ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit.“
Diethelm Schaden

 

Inhaltlich unterscheide sich die Arbeit beim Bistum aber nicht von der Arbeit in der Industrie oder im öffentlichen Dienst. „Bei der Telekom war nur alles schnelllebiger“, erinnert sich Schaden an seinen früheren Arbeitgeber. „Die Personalprobleme aber sind dieselben.“ Einen entscheidenden Vorteil gegenüber Industrieunternehmen macht Schaden indes am Arbeitsort aus: „Beim Bistum gibt es keine Standortdiskussion“, sagt er und lacht. Der Dom stehe nun mal, wo er stehe.

Die Menschen, die einem im Bistum Münster als Mitarbeiter begegneten, seien dieselben, die man sich auch in Industrieunternehmen oder der öffentlichen Verwaltung vorstellt, sagt Schaden. „Personaler und Finanzleute, ITler und Controller, Hausmeister und Sekretärinnen und so weiter.“ Hinzu kämen eben noch die Mitarbeiter im pastoralen Dienst.

Das Gerücht, man könne nur beim Bistum arbeiten, wenn man Katholik sei, bestätigt Schaden nicht – zumindest nicht für alle Jobs. „Mitarbeiter müssen einer Kirche angehören und das katholische Profil mittragen“, sagt er. Ohne die konfessionelle Zugehörigkeit schwieriger werden könne es nur bei Leitungsfunktionen. Und auch mit einem weiteren Gerücht räumt er auf: „Hier ist noch keinem gekündigt worden, weil er sich scheiden ließ.“

Die Kirche verfolge einen guten sozialen Zweck, den er gerne mit seiner Arbeit und seinem Wissen unterstütze, stellt Schaden die Besonderheit an seinem Arbeitgeber heraus. Das motiviere ihn. „Ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit“, sagt er denn auch voller Überzeugung.

Wenn Diethelm Schaden trotzdem mal Ausgleich sucht, findet er ihn im Fliegen. Das ist sein größtes Hobby. „Dann bin ich für mich alleine, in einer anderen Welt“, sagt er und ergänzt mit einem Schmunzeln: „Meinen Wohnort habe ich nach dem Flugplatz ausgesucht.“ Schaden ist auch Fluglehrer für Segelflugzeuge und Motorsegler. In die Luft geht es für ihn auf dem in die münsterländische Parklandschaft eingebundenen Verkehrslandeplatz Münster-Telgte. Nach seinem Lieblingsziel gefragt, muss er nicht lange überlegen: „Von hier bin ich in einer Stunde auf den ostfriesischen Inseln.“ Und auch, wenn das Fliegen für ihn reiner Ausgleich ist, sieht Diethelm Schaden Parallelen zur Arbeitswelt: „Das Schöne am Segelfliegen ist, dass es bereits ab 14 Jahren möglich ist“, sagt er. „Junge Leute bekommen somit früh Verantwortung beigebracht.“

In seinem Arbeitsalltag freut sich der Abteilungsleiter, „wenn wir die Menschen gut auf neue Tätigkeiten vorbereitet und untergebracht haben, sodass sie und ihr Umfeld zufrieden sind“. Oder wenn sie gemeinsam Projekte erfolgreich zu Ende bringen – „wie jetzt gerade bei unserem Online-Bewerber-Tool“.

  

Überhaupt: die Digitalisierung. Darin sieht Diethelm Schaden die größte Herausforderung der nächsten Jahre. „VIS kompakt, die elektronische Personalakte, elektronische Reisekostenabrechnung…“, beginnt er aufzuzählen. Auch den demografischen Wandel werde das Bistum spüren. Und es müsse bei sinkenden Kirchensteuereinnahmen sicherstellen, dass es alle notwendigen Aufgaben trotzdem erfülle.

Dass das Bistum und sein Generalvikariat sich Herausforderungen stellen und sie auch meistern, haben sie in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt. „Die Novellierung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes, also der Umgang mit Loyalitätsverstößen, wie Wiederheirat von Geschiedenen zum Beispiel, war ein Riesen-Meilenstein“, sagt Diethelm Schaden. Diese erleichtere die Arbeit im Personalbereich ungemein. So sei der Umgang mit Loyalitätskonflikten heute beispielsweise deutlich lockerer als früher.

Das Bischöfliche Generalvikariat Münster ist ein modernes Unternehmen, das in seinem Handeln und Wirken Nächstenliebe und Pragmatismus miteinander verbindet. Personalpolitik betreibt es mit Weitblick – und sozialer Grundeinstellung. So empfiehlt Diethelm Schaden beispielsweise auch anderen Einrichtungen und Bistümern, darüber nachzudenken, ob die Einführung von Zeitwertkonten, nicht eine gute Möglichkeit wäre, Mitarbeiter zu werben und zu binden, aber vor allem auch, planbar mit Ressourcen umzugehen.

Die Kirche als Arbeitgeber im Jahr 2018: ein bisschen alt, trotzdem bunt und sehr beliebt. Und möglicherweise angesetzten Staub schüttelt sie sich gerade voller Elan von den Füßen.

 

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