Gelebte Vielfalt: die St. Elisabeth-Stiftung in Bad Waldsee

Weil man die Zeit jetzt nutzen muss

Wie die St. Elisabeth-Stiftung in Bad Waldsee an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf arbeitet.
Warum die Mitarbeitenden der Stiftung davon profitieren – und wo es noch etwas hakt.

Bereits seit dem Jahr 2011 ist die St. Elisabeth-Stiftung aus Bad Waldsee im Audit „berufundfamilie“ der Hertie-Stiftung zertifiziert. Dieses fungiert als Managementinstrument zur Förderung von familienbewusster Personalpolitik in Unternehmen und begutachtet nicht nur laufende Maßnahmen, sondern zeigt auch Entwicklungspotenziale auf. In Bad Waldsee haben die Verantwortlichen sich daraus abgeleitet das Handlungsfeld „Arbeitszeiten“ noch einmal intensiver angesehen – und Entwicklungsmöglichkeiten in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgemacht. Die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Caritasverbandes (AVR Caritas) sehen das Leistungsentgelt beziehungsweise die Sozialkomponente als variablen  Entgeltbestandteil zusätzlich zum Tabellenentgelt vor. Und genau hier setzte die St. Elisabeth-Stiftung an: Als eine von mehreren Maßnahmen wurde „zeitWERT“ als innovatives  Lebensarbeitszeitmodell eingeführt.

„Wir haben uns positiv beeinflussen lassen“, erinnert sich Nicole Rapp, Leiterin Personalwesen bei der St. Elisabeth-Stiftung, an die Einführung von „zeitWERT“ zurück. „Vom ersten Gedanken bis zur Umsetzung haben wir dann weniger als ein Jahr gebraucht“, pflichtet ihr Personalreferentin Veronika Leichtle bei. „Es hat nur etwas gedauert bis alle Formulare fertig waren“, ergänzt Nicole Nüssle, die für die Einführung des Modells zuständige Personalsachbearbeiterin. Und so ging es am 1. Januar 2014 los – unterstützt von der Deutschen Beratungsgesellschaft für  Zeitwertkonten und Lebensarbeitszeitmodelle (DBZWK).

 

„Mit jedem neuen Fall kamen neue Themen, an die wir bei der
Einführung noch nicht gedacht haben.”
Nicole Rapp

 

Damit die Einführung ein Erfolg werden konnte, musste Vertrauen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgebaut werden. Und das bedarf immer einer gewissen Zeit. „Unsere dezentrale Struktur ist bei Neueinführungen immer eine gewisse Herausforderung“, sagt Veronika Leichtle. „Viele unserer Mitarbeitenden sitzen nicht am PC, haben daher auch keinen Intranet-Zugang.“ Informationen müssten auf anderem Weg an sie herangetragen werden. „Wir machen viel über Flyer und Mundpropaganda“, sagt Leichtle. Das funktioniert – aber es dauert. „Das Thema ist sehr komplex“, beschreibt Nicole Rapp eine der Herausforderungen, mit denen die St. Elisabeth-Stiftung in der ersten Zeit ihres Lebensarbeitszeitmodells konfrontiert wurde. „Mit jedem neuen Fall kamen neue Themen, an die wir bei der Einführung noch nicht gedacht haben.“ Man habe immer wieder gelernt. Und parallel hätte den Mitarbeitenden ihre anfängliche Skepsis genommen werden müssen. Nicole Rapp: „Es musste erst Vertrauen entstehen. Das ist jetzt da.“ In Zeiten von Niedrigzinsen seien die Mitarbeitenden trotzdem manchmal verunsichert, ob tatsächlich alles sicher sei, fügt Veronika Leichtle hinzu. „Hier braucht es eine regelmäßige Bestätigung.“

 

Auch heute sei man immer noch mit mancher Herausforderung konfrontiert. „Aber nichts, was sich nicht nach kurzer Zeit klären ließe“, sagt Nicole Nüssle. Die Mitarbeitenden würden manchmal gerne noch mehr machen, ergänzt Nicole Rapp. „Also sie wären gerne noch flexibler.“ Bei noch individuelleren Lösungen stelle der Verwaltungsaufwand dann allerdings irgendwann eine Herausforderung dar. Die Personalleiterin findet indes das Signal, das mit dem Lebensarbeitszeitkonto beim Thema Überstunden gesendet werde, nicht ganz richtig. „Es soll nicht so sein, dass jeder plötzlich so viel wie möglich arbeitet, um Stunden dorthin zu buchen.“ Der Dienstgeber habe seinen Mitarbeitenden vielmehr Freiraum schaffen wollen. Mit der heutigen Lösung sei für jeden und jede etwas dabei. „Und natürlich gibt es trotzdem auch Mitarbeitende, die sagen, dass sie das gar nicht brauchen.“ Veronika Leichtle betont die Vielseitigkeit von „zeitWERT“ – und den Nutzen für die einzelnen Mitarbeitenden: „Die Bedarfe sind ja sehr individuell.“

Die Beteiligungsquote der Mitarbeitenden liege aktuell bei etwa sechzig Prozent, sagt Leichtle. „Das Thema ist angekommen im Unternehmen“, freut sich Nicole Rapp. „Alle Mitarbeitende beschäftigen sich damit.“ Und die Führungskräfte begännen damit zu arbeiten. „Es hängt auch grundsätzlich viel von der Führungskraft ab“, ergänzt Nicole Nüssle.

 

„Die Bedarfe sind ja sehr individuell.”
Veronika Leichtle

 

„An einem Standort gab es einen entsprechenden Personalwechsel – und plötzlich herrscht Bedarf an Beratung zum Thema.“ Bei der St. Elisabeth-Stiftung dürfen auch Leitungskräfte ein Zeitwertkonto haben. Deshalb hat auch Nicole Rapp eines. „Mich reizen daran vor allem die vielen Varianten, die verschiedenen Möglichkeiten“, sagt sie. „Zum Beispiel auch, wenn man den Arbeitgeber irgendwann wechselt. Dann ist der Übergang nicht so abrupt.“ Auch ihre beiden Personalkolleginnen haben jeweils ein Zeitwertkonto. „Ich spare einen kleineren Teil an, da ich nur in Teilzeit arbeite“, sagt Nicole Nüssle. Eventuell brauche sie irgendwann etwas mehr Zeit für ihre Eltern, meint sie. Außerdem sei sie sehr USA-interessiert. „Ich will mit meinem Sohn mal sechs Wochen im Sommerurlaub dorthin“, sagt sie. „Einmal mit dem Camper überallhin.“ Auch Veronika Leichtle hat direkt nach ihrer Probezeit mit dem Einzahlen begonnen. „Ich wollte aber erst mal schauen, habe mit einem kleineren Betrag begonnen“, sagt sie. Nutzen wolle sie es gegebenenfalls um eine Elternzeit damit etwas zu verlängern. „Die Variante finde ich sehr spannend.“

Schon einen Schritt weiter ist Petra Fischbach. Die Heilerziehungspflegerin, die sich normalerweise im Heggbacher Wohnverbund um Betreutes Wohnen in Familien kümmert, hat ihre erste über das Lebensarbeitszeitkonto ermöglichte Auszeit bereits hinter sich. Zwischen Mai und Juli 2018 pausierte sie für drei Monate. Gemeinsam mit ihrem Mann, der ebenfalls bei der Stiftung arbeitet, war sie zehn Wochen auf Reisen. „Eigentlich wollten wir wandern – durch Albanien, Mazedonien und Griechenland.“ Eine Schulterverletzung zwang sie dann allerdings dazu, die Reise doch mit dem Auto anzutreten. Entspannend sei die Zeit gewesen, sagt sie. „Aber nach zehn Wochen hatten wir dann auch genug vom Reisen, wollten wieder nachhause.“ Insgesamt sei das Ganze wie ein Vorgeschmack auf die Rente gewesen, sagt sie. „Es war ein Ausprobieren.“ Schließlich müsse man die Zeit, die man jetzt habe, nutzen. Auch vom Geld her habe alles perfekt geklappt. „Es kam immer Geld aus dem Automaten“, sagt sie und lacht. Ob sie es wieder machen würde? „Ja“, sagt sie. Vielleicht in drei bis vier Jahren. „Ich finde das eine tolle Sache. Das hat nicht jeder Betrieb.“ Eine ihrer Kolleginnen habe es für die Pflege von Angehörigen genutzt. „Auch das hat super funktioniert.“ Und die gute Verzinsung, die „zeitWERT“ biete, sei definitiv ein Anreiz.

Aber Fischbach thematisiert auch, wo sie noch Verbesserungspotenzial sieht: „Ich muss auch vertreten werden, wenn ich weg bin“, sagt sie. Es gebe keine Vertretungsregelung in ihrem Bereich. Die bräuchte es noch, zum Beispiel durch Honorarkräfte und Ehrenamtliche. „Das ist eine Herausforderung, der man sich stellen muss.“ Außerdem vermisse sie noch ein Nachfassen nach der erfolgten Nutzung – einerseits für die Mitarbeitenden, die es genutzt haben, andererseits auch für die Mitarbeitenden, die diese ersetzen mussten. „Das fehlte“, sagt Fischbach. Für sie als Nutzerin sei das Ganze aber mit einem wahnsinnigen Erholungswert verbunden gewesen. „Ich hatte eine Zeit, in der ich nicht getaktet leben musste“, sagt sie. Swen Dittberner, Abteilungsleiter in der Wohngemeinschaft Sebastian im Heggbacher Wohnverbund, ist auch von Anfang an dabei. „Ich war schnell überzeugt, dass das etwas Gutes ist“, sagt er. Obwohl auch er zugeben müsse, dass er anfangs skeptisch gewesen sei, ob des guten Zinssatzes. Die Flexibilität habe ihn jedoch überzeugt – ob Vorruhestand, Sabbatjahr, Pflege oder oder… „Und das ohne Verdienstausfall“, sagt Dittberner. Er selbst will Anfang 2019 einen Bau-Sabbat einlegen. „Ich kann nicht Vollzeit arbeiten und dann noch bis tief in die Nacht an meinem Haus bauen“, erklärt er den Grund. Und er wolle nun mal viel selbst machen am Haus. Seine Kolleginnen und Kollegen hätten alle gut auf diese Idee reagiert, sagt er. „Wir haben ein gutes Team und jeder weiß, was er machen muss.“

Seine Vorgesetzte habe mit anderen Mitarbeitenden vereinbart, dass sie in der Zeit, in der er fehle, vorübergehend aufstocken. „Die arbeiten alle in Teilzeit. Da geht das gut“, sagt Dittberner. Es komme auch kein Neid auf, da alle anderen Kolleginnen und Kollegen in seinem Bereich ebenfalls ein Lebensarbeitszeitkonto hätten. „Es ist ein Stück weit auch Geben und Nehmen.“  Irgendwann seien die anderen dran. Daher hätten sie auch mehr Verständnis für ihn. „Und ich bin dann vielleicht irgendwann neidisch, wenn der Kollege mit 61 Jahren in den Vorruhestand geht“, sagt Dittberner, lacht und konstatiert: „Es ist einfach schön, so etwas in der Hinterhand zu haben.“

Nominiert für den Otto-Heinemann-Preis
Das Engagement der St. Elisabeth-Stiftung rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird auch in der Öffentlichkeit positiv wahrgenommen. So wurde die Stiftung beispielsweise als einer von drei Kandidaten für den deutschlandweiten Otto-Heinemann-Preis 2018 nominiert. Mit diesem Preis werden innovative Unternehmen ausgezeichnet, die für ihre Mitarbeitenden optimale Bedingungen für eine gute Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege daheim schaffen. Diese Möglichkeit des häuslichen Einsatzes bei gleichzeitiger Berufstätigkeit hat gesellschaftlich große Bedeutung, da bis zum Jahr 2035 in Deutschland mehr als vier Millionen Pflegebedürftige versorgt werden müssen. Arbeitgeber wie die St. Elisabeth-Stiftung, die in dieser Hinsicht  pragmatische Lösungen anbieten, helfen nach Expertenmeinungen mit, diese Herausforderungen zu meistern. Die Preisverleihung unter der Schirmherrschaft von Wirtschaftsminister Peter Altmaier fand am 8. November 2018 in Berlin statt. Den Preis in der Gruppe der Unternehmen mit 1.001 bis 5.000 Mitarbeitenden erhielt letztlich der Landwirtschaftliche Versicherungsverein LVM. Neben ihm und der St. Elisabeth-Stiftung war außerdem die IKK Südwest nominiert. Für die St. Elisabeth-Stiftung war bereits die Nominierung mehr als ein Achtungserfolg. Und Ansporn, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

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