TDDK: Wertkontenmodell bindet Mitarbeiter

Die perfekte Mischung ohne Kulturschock

Was japanische Weltkonzerne auf die grüne Wiese nach Deutschland zieht.
Und wie Kaizen und Genchi Genbutsu im täglichen Arbeitsleben Einzug halten.

Die TD Deutsche Klimakompressor GmbH (TDDK) ist ein Unternehmen der beiden japanischen Automobilzulieferer Toyota Industries Corporation (TICO) und Denso Corporation und ein führender Hersteller von Kompressoren für Fahrzeugklimaanlagen in Europa – eine Tatsache, die bei der näheren Betrachtung des Unternehmens von großer Bedeutung ist. Denn TDDK sitzt nicht etwa in einem der großen europäischen Ballungsräume, sondern am Rande des Örtchens Straßgräbchen, einem Ortsteil der sächsischen Kleinstadt Bernsdorf (gut 6.500 Einwohner) im Landkreis Bautzen am nördlichen Rand der Oberlausitz.

Aber was zieht zwei japanische Weltkonzerne auf die grüne Wiese nach Deutschland? Und was genau nach Straßgräbchen? Stefanie Fritzsche, Personalleiterin von TDDK, klärt auf: „Toyota Industries und Denso sind schon lange Lieferanten für die Autoindustrie in Deutschland, wie beispielsweise für Audi oder BMW“, sagt sie.

 

„Die hohe Beteiligung liegt an unserem Modell.“ 
Andreas Schaaf

 

Nach dem Erdbeben von Kobe 1995 mit all seinen Folgen sei eine Ansiedlung in Deutschland als sinnvoll empfunden worden, damit es bei den großen europäischen Auftraggebern im Falle einer erneuten Naturkatastrophe nicht zu Produktionsstopps komme.

Vor der Entscheidung für Bernsdorf seien die üblichen Kriterien bewertet worden, sagt Fritzsche und nennt Lohnkostenvergleiche, Bodenpreise oder Steuersätze als Beispiel. „Diese Standortentscheidung war aber auch eine persönliche“, ergänzt sie. Die sächsische Wirtschaftsförderungsgesellschaft habe sich dabei schwer ins Zeug gelegt. „Da kamen letztlich aber auch sehr viele Zufälle zusammen“, sagt sie und verweist auf einen Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit“, die die Ansiedlung von TDDK 2003 unter der Überschrift „Wie das Glück nach Straßgräbchen kam“ im Detail aufgearbeitet hat. Nun liegt die Vermutung nahe, dass es für ein Unternehmen, das derart auf Fachkräfte angewiesen ist, wie TDDK, im ländlichen Raum schwierig werden könnte, die passenden Mitarbeiter zu finden und vor allem zu binden. Doch Stefanie Fritzsche beschwichtigt: „Für uns ist das bislang noch kein großes Problem.“ Aktuell suche man höchstens nach Ingenieuren oder Mechatronikern. Darüber hinaus profitiere das Unternehmen von der Heimatverbundenheit seiner Mitarbeiter. „Viele wollen auch gezielt in die ländliche Region“, sagt sie. Und sie blieben lange, genössen das familiäre Arbeitsklima.

Das bestätigt auch Andreas Schaaf vom TDDK-Committee, dem japanischen Gegenstück zur deutschen Mitarbeitervertretung: „Wir werden mit unseren Familien zum Beispiel zum Sommerfest auf dem Firmengelände eingeladen – mit Riesenrad, Hüpfburg, Essen und so weiter“, sagt er. Außerdem gebe es jedes Jahr eine Weihnachtsfeier. Im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements fänden Sportkurse in der Firma statt. Auch Gesundheitsmassagen am Arbeitsplatz würden angeboten. „Der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind durch den Schichtbetrieb zwar Grenzen gesetzt“, sagt Stefanie Fritzsche. Aber Bausteine wie das Lebensarbeitszeitkonto helfen schon jetzt dabei, Mitarbeiter zu werben und zu halten, sagt sie.

Beim Unternehmensklima sei der japanische Einfluss spürbar. „An die Mitarbeiter werden hohe Ansprüche gestellt“, sagt Fritzsche. „Es gilt das Null-Fehler-Prinzip – bei hoher Taktzahl.“ Aber das Unternehmen kümmere sich um seine Mitarbeiter, biete stabile Arbeitsverhältnisse und langfristige Beziehungen. Im japanischen Stil herrsche aufrichtige Kommunikation und Respekt gegenüber allen am Geschäft Beteiligten. „Wir leben ein offenes Klima, sind lösungsorientiert.“

Stefanie Fritzsche war inzwischen auch dreimal selbst in Japan, lernte die japanische Kultur und die Mentalität der Japaner vor Ort näher kennen. „Bei unserer Mutterfirma TICO war ich jeweils zu Treffen mit den Kollegen der Personalabteilung“, sagt sie, „und bei der globalen HR-Konferenz“.

  

Andreas Schaaf merkt die japanischen Einflüsse auch im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung. Was man in Deutschland unter KVP – also kontinuierlicher Verbesserungsprozess – kenne, heiße in Japan Kaizen. Beide Begriffe meinen dasselbe: einen kontinuierlichen Optimierungsprozess, in den alle Mitarbeiter einbezogen werden. Kaizen fasst alle Maßnahmen zusammen, die geeignet sind um Produkte, Service, Prozesse und einzelne Tätigkeiten in einem Unternehmen zu verbessern. Ziel ist es, die Denkhaltung von Mitarbeitern positiv zu beeinflussen. Sie sollen kontinuierlich prüfen, wo und wie sie ihre Arbeit verbessern können. „Wichtig ist auch, dass es bei uns keine runden Tische gibt, sondern wir immer vor Ort gehen, um dort die richtigen Entscheidungen zu treffen“, beschreibt Stefanie Fritzsche ein weiteres japanisches Management-Instrument, das TDDK übernommen hat: Genchi Genbutsu. Das Vor-Ort-Gehen hat dabei System. Probleme sollen verstanden werden durch unmittelbare Beobachtung von Prozessen – in all ihren Variationen. Entscheider sollen sich nicht auf Aussagen Dritter verlassen, sondern sich selbst ein Bild der jeweiligen Situation machen. Vor Ort.

 

„Es gilt das Null-Fehler-Prinzip – bei hoher Taktzahl.“
Stefanie Fritzsche

 

Die Einführung von Lebensarbeitszeitkonten geht indes auf eine Anfrage von Mitarbeitern zurück. Sie hatten woanders von dem Modell gehört und wendeten sich ans Committee. Dieses gab den ersten Anstoß. Bei der Recherche zum Thema seien sie früh auf die Deutsche Beratungsgesellschaft für Zeitwertkonten und Lebensarbeitszeitmodelle (DBZWK) gestoßen, sagt Fritzsche. Diese half bei der Einführung. Und Hilfe war nötig, denn für die Japaner war der Wunsch zur Einführung von Lebensarbeitszeitkonten nur schwer nachvollziehbar. „Der Abstimmungsaufwand war hoch“, sagt Fritzsche. Die japanische Geschäftsführung habe großen Erklärungsbedarf gehabt. „Hier hat man die kulturellen Unterschiede gemerkt.“ Zunächst habe man das Modell der Arbeitszeitkonten grundsätzlich erklären müssen, sagt sie. „Dieses Instrument ist in Japan so nicht bekannt.“ Zwar würden auch dort Überstunden gemacht, diese dann in der Regel aber über Auszahlungen vergütet. „Der Gedanke, dass man Überstunden und andere Zeiten ansparen und für Freistellungen verwenden kann, war ihnen neu.“

Themen wie Sabbaticals seien eben eher deutsche beziehungsweise europäische Themen, sagt Fritzsche. „Die spielen in Japan keine Rolle.“ Auch die stärkere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei immer ein Thema, das genauer Erklärungen bedürfe, da es in Japan ziemlich unüblich sei, bezahlte Freistellungen zum Beispiel für die Pflege von Angehörigen zu nehmen. „Dort geben in solchen Fällen noch immer traditionell die Frauen die Arbeit auf und kümmern sich um die Familie, während der Mann arbeitet“, erklärt Stefanie Fritzsche. Man merke zwischenzeitlich aber durchaus auch ein schrittweises Umdenken in Japan bei diesen Themen. „Das wird sicherlich auch begünstigt durch den demografischen Wandel und die stark alternde Gesellschaft.“

Für TDDK hat sich der Aufwand gelohnt. Bei Langzeitverträgen erreicht das Unternehmen heute die Traum-Teilnehmerquote von einhundert Prozent. Das liegt zum einen am fünfprozentigen Arbeitgeberzuschuss zum monatlichen Grundgehalt. Zum anderen auch an der garantierten Verzinsung im Rahmen des Vermögens-Konzeptes. „Die hohe Beteiligung liegt an unserem Modell“, ist sich auch Andreas Schaaf sicher. Der Arbeitgeber trage zum Beispiel auch alle Kosten – „nicht wie bei anderen Unternehmen“.

Diese Sicherheit ist es auch, die die TDDK-Mitarbeiter schätzen. „Die meisten sind bodenständig, in der Region verwurzelt“, sagt Stefanie Fritzsche. Familie, Haus und Hof stünden im Fokus. „Bei uns arbeiten auch viele ältere Menschen mit fünfzig, sechzig Jahren“, sagt Andreas Schaaf. Diese wollten nicht mehr auf Montage, sondern einen festen Arbeitsplatz. Und es gebe inzwischen viele junge Leute, die nach einer Lehre in den alten Bundesländern wieder zurück in die Region kämen.

Fritzsche selbst verbrachte ihr bisheriges Berufsleben komplett bei TDDK. Angefangen hat sie 2000 parallel zu ihrem BWL-Studium mit einem Praktikum. Ab 2002, direkt nach dem Studium, war sie Personalreferentin, seit 2007 ist sie Personalleiterin – eine Bilderbuchkarriere. „Ich konnte die ganze Entwicklung der Firma miterleben“, sagt sie. Anfangs sei ihr ganzer Tag voll gewesen mit Vorstellungsgesprächen, erinnert sie sich. „Aber ich konnte mich in einem Unternehmen entwickeln, das sich parallel zu mir entwickelt hat – auch größentechnisch.“ 915 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind heute fest bei TDDK angestellt.

Zum Abschalten treibt Stefanie Fritzsche Sport. Und sie tanzt. „Einmal die Woche mache ich das mit meinem Freund“, sagt sie. Dieses Jahr füllt sich ihr Wochenplan außerdem noch mit einem besonderen Projekt: „Wir bauen ein Haus.“

Andreas Schaaf lebt bei TDDK sein zweites Arbeitsleben. Im ersten arbeitete der gelernte Fahrzeugbauer siebzehn Jahre in einem Autohaus. Als dort immer häufiger die Lohnzahlungen ausblieben, machte er sich auf die Suche – und wurde fündig. In der Gießerei von TDDK kümmert er sich seit 2005 um Formersatzteile. Parallel dazu startete sein Engagement im Committee. 2006 wurde er zum ersten Mal vorgeschlagen und gewählt. Seit 2008 ist er Sprecher des Gremiums – „inzwischen in der vierten Periode“, wie er sagt.

Theoretisch könnte er sich für diese Arbeit zu einhundert Prozent vom eigentlichen Job freistellen lassen. Doch das will er nicht. Um mit dem Ohr näher dran zu sein und den Anschluss nicht zu verlieren, arbeitet er zwei Tage in der Woche noch ganz normal. Die verbleibende Freizeit widmet er Frau und Kindern, Haus und Hof. Oder er geht wandern.

Die Arbeit mit Menschen macht Fritzsche und Schaaf gleichermaßen Spaß – das Kommunizieren mit unterschiedlichen Charakteren, das Lösen von Problemen. „Jeder Tag, jedes Anliegen ist anders“, sagt Schaaf. Die Einführung von Lebensarbeitszeitkonten finden beide bis heute gut. „Lebensphasen und Befindlichkeiten ändern sich“, sagt Schaaf. Da sei es gut, so ein Modell in der Hinterhand zu haben. Man sei finanziell abgesichert. Und die Möglichkeiten seien so vielfältig – vom Sabbatical über die Freistellung für den Hausbau bis zum Vorruhestand. Am Ende also wieder ganz bodenständig: Familie, Haus, Hof – und ein selbstbestimmtes Leben.

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