Ahlstrom-Munksjö: „Flex-Konto“ ermöglicht vorzeitigen Ruhestand

Besonders innovativ und nachhaltig

Wie Ahlstrom-Munksjö aktiv Tarifpolitik betrieb und so zum Vorreiter in der Papierindustrie wurde.
Und warum kaufmännischer Leiter und Personalleiter am Wochenende nicht miteinander reden.

And the winner is… Ahlstrom-Munksjö Paper! 2016 wurde das Unternehmen aus Aalen-Unterkochen vom Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg mit dem „family-NET-Award“ des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg, Südwestmetall, sowie des Arbeitgeberverbands Chemie Baden-Württemberg ausgezeichnet. „Für besonders innovative und nachhaltige Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, wie es auf der Urkunde zur Auszeichnung heißt. Die Preisgeber belohnten das schwäbische Unternehmen damit für die Einführung seines eigenen mit der Deutschen Beratungsgesellschaft für Zeitwertkonten und Lebensarbeitszeitmodelle entwickelten Flex-Kontos. Und Ahlstrom-Munksjö wiederum belohnt seine Mitarbeiter durch das eigene Lebensarbeitszeitmodell mit der Möglichkeit, Gehaltsbestandteile umzuwandeln und damit für die individuelle Verkürzung ihrer Lebensarbeitszeit zu sorgen.

Der finnische Mutterkonzern Ahlstrom-Munksjö ist ein weltweit führender Hersteller von Materialien auf Faserbasis. Im Werk in Aalen-Unterkochen versteht man sich dabei in besonderer Weise auf die Herstellung von Spezialpapier, zum Beispiel für das Dekor von Möbeln oder Laminatböden. Auf zwei modernen Papiermaschinen werden hocheffizient Dekorpapiere produziert. Das Erfolgsgeheimnis der Papierfabrik, die bereits seit über 400 Jahren an diesem Standort produziert, liegt zum einen im Erfahrungsschatz ihrer Mitarbeiter, zum anderen aber auch in ihrer Innovationskraft und der Bereitschaft sich kontinuierlich weiterzuentwickeln – aus Überzeugung.

 

„Ältere Arbeitnehmer stecken das nicht mehr so einfach weg.“
Thomas Wellmann

 

Eine solche Weiterentwicklung war auch die Einführung des betriebseigenen Flex-Kontos. „Wir fahren ein Fünf-Schicht-System“, sagt Roman Schlosser, Personalleiter von Ahlstrom-Munksjö Paper. „Junge Leute finden das cool. Sie müssen im Jahr nur zirka zweihundert Tage arbeiten. Aber eben auch am Sonntag.“ So seien sie großen Belastungen ausgesetzt, hätten einen unregelmäßigen Schlaf, sagt er. „Ältere Arbeitnehmer stecken das nicht mehr so einfach weg.“ Das Durchschnittsalter der Belegschaft steige kontinuierlich an, ergänzt Thomas Wellmann, Geschäftsführer Finanzen und Verwaltung von Ahlstrom-Munksjö Paper.

Die tarifliche Altersteilzeitregelung sei zu wenig gewesen. „Eine Umstellung war nötig“, greift Schlosser den Faden auf. „Wir wollen mit dem Flex-Konto die Mitarbeitenden erreichen, die mit hoher körperlicher Anstrengung gearbeitet haben“, sagt Wellmann und betont: „Wir sind immer froh, wenn Mitarbeiter lange bei uns beschäftigt sind und es spricht ja auch für uns, dass sie lange bleiben.“ Aber sie würden damit eben auch mit dem Unternehmen alt, worauf dieses wiederum richtig reagieren müsse. „Schließlich können wir nicht endlos Schonarbeitsplätze zur Verfügung stellen“, sagt Wellmann.

  

„Unser primäres Ziel ist es, Mitarbeitern einen vorzeitigen Ruhestand zu ermöglichen“, sagt Schlosser. Der Werbeeffekt sei dabei aber ein willkommener Nebeneffekt, ergänzt Wellmann. Für jüngere Generationen sei bei der Neueinstellung der Faktor Zeit relativ wichtig. „Sie wollen Zeit haben für Freizeit, für Familie.“ Theoretisch wären mit dem Flex-Konto beispielsweise auch eine Auszeit oder die Betreuung häuslicher Pflegefälle möglich.

Als großen Erfolg werten Wellmann und Schlosser, dass der Arbeitgeberverband – obwohl bei der Einführung des Lebensarbeitszeitmodells bei Ahlstrom-Munksjö davon nicht wirklich angetan– bei der letzten Tarifrunde im Jahr 2016 Lebensarbeitszeit jetzt als Baustein mit in den Tarifvertrag der Papierindustrie aufgenommen habe. „Wir waren hier Vorreiter, haben aktiv Tarifpolitik betrieben“, sagt Roman Schlosser. Da habe sich etwas komplett gewandelt. „Viele Firmen haben erkannt, dass sich was verändern muss.“ Im Tarifbereich Südwest hätte Ahlstrom-Munksjö das Eis gebrochen, meint Wellmann. Den „familyNET-Award“ nehmen beide als Ansporn. „Er war eine Bestätigung“, sagt Schlosser. „Auch uns war das Risiko, dass wir scheitern könnten, bewusst“, sagt Thomas Wellmann. „Wir waren mutig.“ Aber länger zu warten, hätte nichts gebracht. Und der Mut zahlte sich aus. Direkt zu Beginn des Flex-Kontos machten 73 Prozent der Mitarbeiter mit. Roman Schlosser: „Was die Mitarbeitenden früh erkannt haben: In unserem Modell haben sie die Zügel selbst in der Hand.“

Für das Unternehmen von besonderer Bedeutung ist, dass rund um das Modell stets Transparenz herrscht – und das Handling für die Mitarbeiter einfach bleibt. „Unser Modell ist hochflexibel für den Mitarbeiter“, sagt Thomas Wellmann.

Aus dem Leben des Modells heraus zeigten sich dabei immer wieder auch Punkte, an denen nachjustiert werden müsse, sagt Wellmann. Und die Mitarbeiter redeten dabei mit. Den Vorschlag, das mögliche Einstiegsalter für einen vorzeitigen Ruhestand von 60 auf 63 anzuheben, beispielsweise, lehnte die Belegschaft ab. „Die am Modell teilnehmenden Mitarbeiter haben mit ihrem Zeitwert etwas vor“, sagt Wellmann. Das sei gedanklich immer präsent. „Die haben Pläne“, sagt auch Schlosser.

 

„Viele Firmen haben erkannt, dass sich was verändern muss.“
Roman Schlosser

 

Pläne haben auch Schlosser und Wellmann. Aber auch Vorsätze. Einen davon formuliert Roman Schlosser: „Am Wochenende hören wir voneinander nichts. Keine Mails, keine Anrufe.“ Das Wochenende sei heilig, sagt er. „Außer, wenn der Baum brennt.“ Das habe etwas mit persönlicher Freiheit zu tun, erklärt auch Wellmann. „Man muss auch eine Distanz zur Arbeit aufbringen können“, sagt er. Um Kraft zu tanken. Um abzuschalten. Um bewusst zu leben. Es gebe nahezu kein Problem, das sich am Wochenende auftue, das nicht auch erst am Montag gelöst werden könne, sagt Schlosser. Und die Konsequenz, mit der Schlosser und Wellmann diesen Vorsatz leben, gibt ihnen Recht.

  

Roman Schlosser nutzt die so entstehende Freizeit gerne für Sport – „um mich gesund und fit zu halten“, wie er sagt. Seit achtzehneinhalb Jahren arbeitet er im Unternehmen, hat davor Industriekaufmann gelernt, seinen Fachwirt gemacht und sich bereits in seinem Ausbildungsbetrieb bis zum Personalleiter hochgearbeitet. Zielstrebig. Für die Arbeit in der Papierindustrie brauche es eine Hands-on-Mentalität, sagt er. „Man muss sich hineinversetzen können, braucht Zugang zu den Menschen.“

Roman Schlossers achtzehneinhalb Jahre könne er noch toppen, sagt Thomas Wellmann. „Ich bin seit 1989 hier.“ Am Anfang habe er noch gedacht, dass er nicht lange bleibe. „Aber das hat sich – wie so oft im Leben – anders entwickelt“, sagt er mit einem Schmunzeln. Mit seiner Arbeit als kaufmännischer Leiter fühlt er sich eng verbunden. „Mir liegt sehr viel am Unternehmen“, sagt er, betont aber erneut die Notwendigkeit von Distanz. So sucht auch er neben der Familie im Sport seinen Ausgleich. Die Sportart: „Alles, was ich sofort aus dem Stand alleine machen kann.“ Auf diese Weise leben Roman Schlosser und Thomas Wellmann die auch von ihnen gepredigte Work-Life-Balance im Unternehmen selbst vor. Und auch das aus Überzeugung.

 

zurück zu Praxisbeispiele

Zeitgeist, Bistum Münster: mit Zeitwertkonten zum modernen Arbeitgeber, DBZWK